FOCUS | Museum Würth

Museum Würth II zeigt „Focus – Neue Blicke auf die Sammlung Würth“ – 100 Arbeiten von 60 Künstlerinnen und Künstlern laden zu frischen Dialogen ein – Hat das Sehen ein Geschlecht?

Künzelsau. Ganz im Zeichen des Dialogs steht die aktuelle Langzeit-Präsentation im Museum Würth II. Unter der Überschrift „Focus“ verspricht bereits der Untertitel „Neue Blicke auf die Sammlung Würth“. Innerhalb von rund fünf Jahrzehnten hat der kunstsinnige Schraubenkönig eine 20 000 „Positionen“ umfassende Kunstkollektion erworben. Nun wählten Maria Würth - bereits die (über-) nächste Generation ist als Geschäftsbereichsleiterin Kunst und Kultur aktiv – und die langjährige stellvertretende Sammlungsleiterin Dr. Beate Elsen-Schwedler rund 100 Kunstwerke von knapp Künstlerinnen und Künstlern aus: „Indem man alte und neue Werke zusammenhängt, kann man Zusammenhänge zeigen“, beschreibt letztere beim Presserundgang die Philosophie der frisch geschüttelten Schau.

An die 30 Neuzugänge dürfen sich mit „Ikonen“ und „alten Bekannten“ messen. Nicht ganz eine „Schule des Sehens“ à la Kokoschka gilt es zu bewundern, aber die Freude am genauen Hinsehen will man hier durchaus fördern. Texte in Leichter Sprache sollen erstmals dabei helfen; zudem eine Sehhilfe in Form einer Ausschnitts-Postkarte, wie sie auch bei einschlägigen Zeichenschulen gerne als Motivfinder zur Hand gegeben wird. Strukturiert in zehn Kapitel, erlaubt der quirlige Parcours viele Seitenblicke und öffnet Querverweise, die durchaus in   überraschende Erkenntnisse münden können. Endlich geht es auch einmal um die Frage: Hat das Sehen ein Geschlecht? Mit rund einem Fünftel weiblicher Künstlerinnen scheint hier für Würth‘sche Verhältnisse durchaus etwas ins Rollen gekommen zu sein.

Ist die Malerei tot? Wie ein Paukenschlag eröffnet das „Abenteuer Malerei“ die Schau. Gotthard Graupners Kissenbild und Georg Baselitz „Andalusische Gitarre“ in Riesen-Proportion könnten den Eintretenden erschlagen. Doch es gibt auch Fans, die genau wegen Parsifals Damenschuhen weit gereist sind. Dass es auch einige Meter kleiner geht, beweist Kurt Schwitters. Der Meister der One-Man-Merz-Dada-Bühne fragt sich beim Anblick eines Teichleins: „Wie kann ich dieses bisschen Wasser am besten messen? Nach der Erde, die es hält? Oder nach dem Himmel darin?“ Tragische Ironie des Schicksals: die Briten steckten den mutmaßlichen „enemy alien“ erst einmal in ein Lager auf der Isle of Man, von wo ein gerade einmal 60 Zentimeter hohes, abstraktes Ölgemälde den Weg ins Hohenlohe fand. Trotz des kleinen Formats entfalten die „freien Formen und Utopien“ eine immense Strahlkraft, wie Werke von Sonja Delaunay und Henry Moore unschwer zeigen.

Dass die Künstler auch gerne mal eine falsche Fährte legen, gehört zum Geschäft: „Markus Lüpertz malt gegenständlich, begreift sich aber als abstrakt“, findet Elsen-Schwedler. Sogar im Untergeschoss, das nicht nur wegen der schummrigen Beleuchtung an einen Vorhof zur Hölle gemahnt, widerspricht Daniel Richters Diktat von unpolitischer Kunst deutlich seinen aufregenden Collagen. Goya wird dank Robert Longo dreidimensional. „Jeder schleppt seine Assoziationen mit sich rum“, lautet eine Erkenntnis aus der Unterwelt.
 

Vorbei am Belvedere mit Tony Craggs Recycling-Münster-Türmen im Coppedè-Stil – Stichwort „Malerei im Raum“ – lockt der Saal der neuen Heldinnen. Den Aufbruch markiert Lovis Corinth. Sein alttestamentarischer Frauenakt eckte bei wilhelminischen Betrachtern durchaus an – „zu viele Details“. Die Reise geht über Xenia Hausner zu Maria Lassnigs „Körperempfindungsbildern“. Die neuen Heroinen greifen zu den Sternen, wie Robert Longos XL-Kohlezeichnung der Kosmonautin Tereshkova zeigt. Am anderen Ende der imaginären Rakete sitzt Marc Quinns weiße Marmorskulptur „Alison Lapper“. Eine 3,60 Meter große Version der Statue der hochschwangeren Künstlerin, die ohne Arme zur Welt kam, stand vor 20 Jahren auf einer Säule des Londoner Trafalgar Square und sorgte für Furore. Und heute?

Info:
Die barrierefrei zugängliche Ausstellung „Focus“ ist bis ins Frühjahr 2028 zu sehen, geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

BUZ:
Ist die Welt aus den Fugen geraten? Auch dieser Frage spürt die neue Dauerpräsentation „Focus“ im Künzelsauer Museum Würth II nach….

(c) alle Fotos: Peter Lahr